Prozessbeobachtung OLG Stuttgart. „Reichsbürgerprozess“ 08.11.2025

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OLG Stuttgart 08.01.2025

43. Verhandlungstag

Die Verhandlung beginn mit sechs (!) Pressevertretern, vier Studenten und drei Zuschauern.
Der Vorsitzende Richter gibt eine Stellungnahme zum Antrag mehrerer RAe vom 9.12.2024 ab, die gefordert hatten, die Verhandlung zu unterbrechen, um der Datenmenge von 363.000 Seiten Anklageschrift in 44 Stehordnern gerecht zu werden. Außerdem hatten sie für jeden Angeklagten -aufgrund dieser Datenmenge – die Beiordnung eines dritten Pflichtverteidigers beantragt. Die Schätzung von RA Böcker (für Markus H.) die Anklageschrift vollständig durchzulesen, beläuft sich auf drei Jahre. Er erläutert auch, dass auch eine Reise nach Meckenheim zum BKA sehr aufwendig sei, man könne vor Ort maximal 10 Gespräche pro Tag analysieren. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Anträge auf Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls (§116 StPO) für Markus H., Steffen W. und Matthias H. werden ebenfalls abgelehnt, der Vorsitzende betont die Gefahr der Fluchtgefahr der Angeklagten – bei der Höhe der zu erwartenden Strafe. (Anm.: § 116 StPO – Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls – Der Richter setzt den Vollzug eines Haftbefehls, der lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigt ist, aus, wenn weniger einschneidende Maßnahmen die Erwartung hinreichend begründen, dass der Zweck der Untersuchungshaft auch durch sie erreicht werden kann. )
Der Antrag auf Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls für Ralf Sch. wird heute – überraschenderweise nicht verhandelt – was einen der anwesenden Pressevertreter zu Spekulationen veranlasst. RA Böcker verlangt eine Pause (9.50h – 11.30h), um die folgende Einlassung von Markus H. (MH) -nach der Ablehnung der Anträge nochmal zu besprechen.
Die Einlassung von MH -zur „Person und Sache“- wird von seinen Anwälten Fratzky und Böcker verlesen. (Anm.: Ein Anwalt schläft dabei ein, es ist auch sehr anstrengend zuzuhören!)
MH ist 1982 im Raum Schwäbisch Hall geboren, er hat aus erster Ehe einen Sohn, der aktuell bei seiner zweiten Ex-Ehefrau lebt und mit seiner aktuellen Lebensgefährtin zwei Töchter. Nach dem guten Hauptschulabschluss hat er eine Lehre als Landmaschinentechniker absolviert und war danach 23 Monate bei der Bundeswehr.
Es folgten verschiedene Anstellungen mit einer betriebsbedingten Kündigung, eine weitere Ausbildung als LKW-Fahrzeugtechniker, die Meisterschule und dann die Selbständigkeit. Er ging seinem Hobby, Fliegen, nach und konnte den Ultraleicht-Flugschein erwerben. Sein Betrieb geriet in finanzielle Schieflage, es hatten sich 300.000 Euro Schulden angehäuft. Nach seiner zweiten Scheidung und einem Neuanfang mit seiner jetzigen Lebensgefährtin im Schwarzwald konnte er diese Schulden bis zu seiner Verhaftung auf 80.000 Euro reduzieren.
Er beschreibt sich als naturverbunden, mit seiner Lebensgefährtin besitzt er zwei Pferde. Der Tradition der Germanen mit Ihrer Kultur und ihren Mythen stehe er nahe, genauso bewundere er „Indianer“ (Anm.: Sein Anwalt macht auf die „“ aufmerksam, um keine indigenen Völker zu beleidigen, da er von einem „woken“ Publikum/Senat auszugehen scheint).

Die Einlassung zur Sache beginnt er mit Treffen vom Sommer 2022, er nennt die Namen Martina R., Klaus Sch., Erwin B., Mirka W., deren Mutter und Jutta D. Er erklärt, dass die Worte „Rekrutierung, Gruppe Organisation“ der Anklage zu diesen Treffen nicht zuträfen, es handelte sich um Informationsveranstaltung zum Thema Krisenvorsorge, ähnlich den Themen des THW. Er bringt auch eine „Funkergruppe“ zur Sprache, die im Krisenfall helfen sollte. Er gibt zu, in posts davon geschwärmt zu haben, einen Leopardpanzer besitzen zu wollen, mit dessen Rohr er gerne mal Post verschicken wolle. Er spricht von einem Konflikt und unschönen Briefwechsel mit einem Gerichtsvollzieher. Dies und der Post „Gib mir ein Messer, jetzt geht es los“ relativiert er als Satire in einer schlechten mentalen Verfassung. Er bereue, daß er aufgrund der Geschichten von Marco v.H. (MvH) an den „deep state“, Pädophilie und Adrenochrom geglaubt habe. Er habe auch geglaubt, dass Deutschland noch besetzt wäre. Von alldem distanziere er sich heute. Er habe im Verlauf des Sommers 2022 Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Rüdiger v.P. (RvP) und MvH bekommen – vor allem als im September 2022 „Der Tag X mit einem blackout“ nicht eingetreten sei.

Es erfolgt eine einstündige Mittagspause.

Dann erklären MH’s Anwälte, die Vernehmungsprotokolle von drei Tagen im Mai 2023 zu verlesen (Anm.: Zu diesem Zeitpunkt war MH bereits 5 Monate in Untersuchungshaft – bis heute sind es genau 25 Monate!). Sie verlesen aus dem Vernehmungsprotokoll nochmals ausführlich seinen Lebenslauf – wortgleich dem Lebenslauf vom Vormittag (Anm.: Prozessbeschleunigung?).
Er wird vom BKA zu verschiedenen Treffen befragt – auch zu denen bei Ralf Sch. MH erläutert, dass es ihn und Ralf Sch. gestört habe, dass MvH Mirka W. zu den Treffen mitgebracht habe, obwohl er eine Beziehung zu Elke N. habe. Ralf Sch. kontaktierte sie, sie besuchte ihn, der Begriff „Lügner“ fiel.
Besorgt über angebliche „Täuschungsmanöver“ von MvH und RvP bekam MH Besuch von Harald P. Und Thomas M. (Anm.: die beiden sind in München angeklagt). Sie berichteten, dass auch Prinz R. befürchte, von den Beiden getäuscht zu werden. Er sammle Beweismaterial gegen MvH und RvP. Strafrelevante Dinge würde er einem Anwalt für Strafrecht vorlegen. MH spricht von MvHs Äußerungen, in denen er sich als „Schöpfer bzw. Adam“ sah, Mirka W. als „Eva“. MH kam sich manchmal vor wie bei einer Sekte.
Von Vertretern des BKA wurde er weiter zu verschiedenen Personen befragt, es wurden ihm teilweise Lichtbilder vorgelegt und er sollte sagen, wen er davon kenne (Frank H., Runa P., Dr. Matthes H., Martina R., Pilot A., Kari U., Erwin B., Ramona B. u. v. m.).
Er gab an, in einem „germanischen Dorf zu leben“, dort habe er Vorträge zur Krisenvorsorge organisiert. Das BKA wollte wissen, was man darunter zu verstehen habe. Warum er drei gepackte Rucksäcke mit einem Messer und Notfallproviant habe? Warum er Tarnfleckkleidung besässe? Warum es den Aufbau einer Armee bedurft hätte? Wozu eine Heimatschutzkompanie notwendig gewesen wäre? Wer zum „Rat“ gehöre? Was er unter dem Begriff „er gehöre der RAF3.0“ an verstehe? Warum er eine „Flugkarte“ zu Andreas M. gebracht hätte? Was es mit den Flugrouten auf sich gehabt habe? Warum er in einer Liste als Pilot geführt wurde? Er erklärt, dass MvH und RvP ihm eine Ausbildung zum Hubschrauberpilot in Aussicht gestellt hätten. Sein wichtigster Antrieb -als Familienvater- wäre die Krisenvorsorge im Notfall -bei einem „Blackout“- gewesen.
Er betont die Rolle der „Allianz“, unter der er sich Russen, Amerikaner und Chinesen vorgestellt hätte. Die hätten alles geregelt, „aufgeräumt“. RvP habe das mehrfach erklärt – auch dass Prinz R. vorgesehen wäre, den Friedensvertrag zu unterschreiben. Welche Staatsform er sich vorgestellt hätte? Er spricht vom Kaiserreich oder einer konstitutionellen Monarchie, die aber auf friedlichem Weg erreicht werden sollte. Ein Sturm auf den Reichstag oder Gewalt lehne er vehement ab, dies tue auch Prinz R., den er im Herbst 2022 getroffen habe.

Mit ihm wurde das Thema „Verschwiegenheitserklärung“ besprochen. Prinz R. war geschockt, dass die angeblich in seinem Namen von MvH verlangt wurden. Er habe sie nicht. Sie wurden bei RvP vermutet. Es wurde beschlossen, RvP auf die Herausgabe anzusprechen, zunächst friedlich. Ein gewaltsames Eindringen im Haus der Tochter von RvP wurde erörtert, aber von Prinz R. als nicht gut befunden. Ralf Sch. und er wollten sie um jeden Preis zurückbekommen. (Anm.: Diese „Verschwiegenheitserklärungen“ scheinen ein wichtiger Punkt der Anklage zu sein!) um 17.00h sind zwei Tage an Befragung durch das BKA verlesen, der dritte Tag wird auf den nächsten Verhandlungstag verschoben.
Zum Abschluss dieses Verhandlungstages gibt der Vorsitzende Richter Holzhausen (RiH) den Anwälten und dem Generalbundesanwalt „rechtliches Gehör“. Aus Frankfurt gebe es noch nichts Neues, in München laufe die Einlassung von Ruth L. Er befragt Ralf Sch. zu seinem gesundheitlichen Zustand und ob er demnächst weiter aussagen könne. Der Angeklagte verneint, da er aufgrund einer Entzündung im Ohr fast nichts höre und Tinnitus habe, weitere Untersuchungen würden anstehen.
RiH schlägt vor, die Zeugin Ruth L. (aus München) wegen ihres Zeugnisverweigerungrechts (von dem sie Gebrauch macht) abzuladen, ebenso die Zeugen René R. und Thomas R.- auch diese beiden würden von ihrem Recht Gebrauch machen. Gegen René R. und Thomas R. ermittle die zuständige Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart weiterhin.

Die Sitzung wird um 17.25 Uhr beendet.

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