Dietrich Bonhoeffers Theorie der Dummheit. Wer dumm ist, macht mit

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Dietrich Bonhoeffers Theorie der Dummheit. Wer dumm ist, macht mit

Der 1906 geborene Dietrich Bonhoeffer war Pfarrer, als er ab 1938 in den Widerstand gegen das übergriffige Nazi-Regime ging und sich öffentlich gegen dessen Machenschaften stellte. Da er zu dieser Zeit viele Menschen erreichte, erhielt er im Jahre 1940 Redeverbot, dem 1941 ein Schreibverbot hinzugefügt wurde. Beides wurde von Bonhoeffer missachtet. Dieser Umstand führte dazu, dass er am 15.04.1943 verhaftet und inhaftiert wurde. Am 09.04.1945 wurde er im KZ Flossenbürg hingerichtet.

Seine Zeit als Häftling nutzte Bonhoeffer intensiv, um zu ergründen, wie aus einem Volk einstmaliger Dichter und Denker ein solch blinder und dummer Mob, ein Kollektiv von Gaunern, Feiglingen und Verbrechern entstehen konnte. Er fand heraus, dass die maßgebliche Triebfeder dazu nicht etwa die Bosheit, sondern die Dummheit ist. Diese sei ein viel gefährlicherer Feind des Guten, als die Bosheit, so schrieb Bonhoeffer in vielen Briefen aus seiner Gefangenschaft.

Denn während es sich bei der Bosheit grundsätzlich so verhalte, dass man gegen sie protestieren und sie notfalls durch den Einsatz von Gewalt aufdecken könne, sei man gegen die Dummheit absolut wehrlos. Weder Proteste, noch der Einsatz von Gewalt könnten hier etwas bewirken, da Argumente stets auf taube Ohren stießen.

Dumme Menschen zögen sich vielmehr darauf zurück, dass man Fakten, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, einfach nicht zu glauben brauche. Unwiderlegbare Fakten würden dabei einfach als nebensächlich und unwichtig abgetan. Der dumme Mensch sei bei all dem selbstzufrieden, aber gleichzeitig auch leicht reizbar und werde immer dann gefährlich, wenn er zum Angriff übergehe.
Bonhoeffer war daher der Ansicht, dass im Umgang mit einem dummen Menschen größere Vorsicht geboten sei, als im Umgang mit einem bösartigen Menschen.

Um die Dummheit überwinden zu können, versuchte Bonhoeffer, ihr Wesen zu verstehen und ihre Ursachen zu ergründen. Er fand heraus, dass Dummheit im eigentlichen Sinne kein intellektueller, sondern ein moralischer Defekt sei. Man könne also durchaus intelligent und gebildet, gleichzeitig aber auch dumm sein. In seinem Umfeld fand er zahlreiche Menschen, die auf intellektueller Ebene durchaus bemerkenswert beweglich waren, andererseits aber moralisch dumm. Umgekehrt fand er Menschen, die intellektuell eher stumpf, andererseits aber moralisch alles andere als dumm waren.

Bonhoeffer vermutete, dass dieser Defekt nicht angeboren war, sondern dass er unter bestimmten Umständen erlangt werde. Menschen, so glaubte er, würden unter bestimmten Umständen einfach dumm. Dabei verweis er jedoch auf den Umstand, dass diese Verdummung ein Prozess sei, den die Menschen freiwillig über sich ergehen ließen. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine stärkere Ausprägung dieses Prozesses auf Menschen, die in größeren Gruppen und Gemeinschaften zusammen lebten, während Einzelgänger und sozial isolierte Menschen eher weniger davon betroffen seien.

(Wir können daraus folgern, dass diese Verdummung der Menschen weniger ein psychologisches, als vielmehr ein soziologische Problem darstellt. Anmerkung des Verfassers.)

Bonhoeffer beobachtete, dass ein starker Machtzuwachs auf der einen Seite, ganz gleich, ob dieser politischer oder religiöser Natur ist, eben diesen Verdummungsprozess auf der anderen Seite bei großen Teilen der Bevölkerung auslöst. Mit einiger Fassungslosigkeit registrierte er, dass die Macht den Einen stets die Dummheit des Anderen brauche und es ein Naturgesetz zu sein scheine, dass sich dieses Gleichgewicht stets so einpendele. Je größer die Macht auf der einen Seite, umso größer die Dummheit auf der anderen.

Laut Bonhoeffer entstehe der Prozess so, dass der Intellekt nicht ganz plötzlich einfach so „versage“, sondern vielmehr so, dass der Mensch, der einer stetig ansteigenden Macht ausgesetzt sei, nach und nach seiner Unabhängigkeit beraubt werde und damit mehr oder weniger bewusst seine autonome Position aufgebe, um sich dann, zunehmend kritiklos der „Meinung“ der Mehrheit anzuschließen.

Der dumme Mensch sei zwar über alle Maßen stur und beharre auf der Richtigkeit dessen, was er als Meinung bezeichne, doch dürfe dies nicht darüber hinweg täuschen, dass er nicht selbstbestimmt handele. Wenn man es mit einem dummen Menschen zu tun habe, so käme man leicht zu der Überzeugung, dass man es gar nicht mit einer individuellen Persönlichkeit zu tun habe, sondern vielmehr mit einem Sprachrohr für Parolen, Schlagworten, falschen Annahmen u.s.w. Für Bonhoeffer waren solche Menschen „wie verhext und verblendet“. Seiner Überzeugung nach wurden sie benutzt und in ihrem Wesen missbraucht. Das Fatale daran: Der, so zum bloßen Werkzeug verkommene Dumme, sei auch zu allem Bösen fähig, insbesondere wenn er aus einer Gruppe von Dummen heraus operiert. Dabei erkenne er nicht, dass er böse handele.

Um eine Gesellschaft der Dummen aus ihrer Dummheit und Gefolgschaft zu befreien, sei die Belehrung ein unwirksames Mittel. Die innere Befreiung des Menschen müsse immer eine äußere Befreiung vorausgehen. Mit anderen Worten: Um die Gefolgschaft der Dummen eines Regimes zu beenden, muss das Regime beendet werden. Erst dann ist der Dumme in der Lage, seine Dummheit nach und nach zu erkennen und sich von ihr zu befreien.

Anmerkungen

Dietrich Bonhoeffer beschreibt hier einen soziologischen Prozess, der durch einen Urinstinkt ausgelöst wird. (Ich habe diesen Effekt in diesem Artikel näher beschrieben) Was Bonhoeffer als „Dummheit“ bzw. moralische Dummheit bezeichnet, ist in Wirklichkeit der Rückzug auf einen Instinkt, der mit einer zeitgleichen Abkehr von der Ratio einher geht. Er hat richtig beobachtet, dass eine Gesellschaft buchstäblich zu verdummen scheint, wenn sie einer erstarkenden Macht ausgesetzt ist. Die Veranlagung hierzu ist jedoch nicht – wie Bonhoeffer glaubte – erworben, sondern angeboren. Lediglich die Ausprägung, mit der mehr oder weniger große Teile der Bevölkerung diesem Instinkt erliegen, ist variabel und nimmt zu, je diktatorischer und faschistischer eine übergeordnete Macht ausgerichtet ist.

Was Bonhoeffer völlig richtig erkannte, war der Umstand, dass man den Dummen (um einmal bei dieser Bezeichnung zu bleiben) nicht durch Argumentation erreicht. Man KANN ihn damit gar nicht erreichen, da seine Ratio (seine Vernunft), mit deren Hilfe er die Argumente erfassen, auswerten und beurteilen könnte, unerreichbar ist.

In unserer heutigen Zeit bezeichnen wir die „Dummen“ als „Schlafschafe“. Es handelt sich um die gleiche Bevölkerungsgruppe und um das gleiche Phänomen. Es muss nun dringend einmal erkannt werden, dass es keine Möglichkeit gibt, diese zu „erwecken“.

 

 

4 KOMMENTARE

  1. man ersetze „Nazi-Regim“ durch „Kirche“ und lese den Artikel nochmal „neu“. 😉
    Wenn Pfaffen von Dummheit einerseits und Fakten andererseits reden, ist das irgendwie widersprüchlich; offenbar leiden sie mit ihrer doch selbst an besagtem „Defekt“, was mit der „Abkehr von der Ratio einher geht“ 🤷🏻

    • Ist es bekannt, was Bonhoeffer zu den verbrechen der Kriche gedacht hat?
      wenn nicht, ist deine Unterstellung ein Strohmann, der die Analyse eines Mannes auf den Weg zum Schaffot, versucht zu mindern. Warum tust du das? Was willst du dem Leser damit vermitteln?

      Ich halte Religion auch für Gefährlich und bin daher immer skeptisch, wenn jemand mit diesem Hintergrund sozialogisch/philosophisch analysiert. Aber wer einen offenen Geist hat kann auch die Argumente der „Gegners“ nachvollziehen und daraus lernen. Wobei das in diesem Fall noch nicht mal eines ist, es sind Gedanken eines Kritikers.

      Das was du betreibst ist die heute so gerne benutzte Taktik der „Kontaktschuld“. Eine fundierten Kritk wird ignoriert, in dem der Überbringer mit einem völlig anderen Thema das Empörung auslösen könnte in zusammenhang gebracht wird. Was in diesem Fall Unsinn ist, solange Bonhoeffer sich nicht irgendwann für die Hexenverbrennung oder die Ausrottung von Menschengruppen ausgesprochen hat, was kaum anzunehmen ist.

  2. Lieber dr. R. T.. Die verbrechen der kirche wurden von karl heinz deschner ausführlich in seiner kriminalgeschichte des christentums in 10 bänden beschrieben. Hier geht es aber um etwas anderes.

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