Prozessbeobachtung OLG Frankfurt. „Reichsbürgerprozess“ 04.12.2024 Teil 1

2021

Prozessbeobachtung OLG Frankfurt. „Reichsbürgerprozess“ 04.12.2024 Teil 1

OLG Frankfurt 04.12.2024

39. Verhandlungstag

Die Verhandlung startet um 9:45 Uhr, Presse ist mit 4 Personen, Zuschauer zu Beginn mit 42 Personen anwesend (darunter 24 Studenten der EBS Uni Rheingau, die dort im 1.Semester Jura studieren und gerade Strafrecht durchnehmen). Nach der Mittagspause bleiben noch 2 Pressevertreter und 15 Zuschauer, am Schluß dann nur noch 10 Zuschauer. Die GBA wird heute durch Herrn Dr. Engelstätter, Frau Dr. Maslow und Richter Konert vertreten.

RA Prof.Dr. Schwab (für Johanna F.-J.) ist heute entschuldigt.

Prolog:

Heute hat Prinz Reuß Geburtstag und insgesamt 8 nahe Verwandte sind zur Verhandlung gekommen. Es fällt auf, daß etwas mehr Beamte als sonst im Zuschauerraum im Einsatz sind, 2 Polizisten vor dem Saal, 2 Polizisten im Saal und 6 Justizbeamte im Saal. Dies mag daran liegen, daß heute mehr Zuschauer als sonst vorort sind und die Verwandten des Prinzen mit Blumen und kleinen Geschenken gekommen sind und natürlich die Plätze in der ersten Reihe einnehmen wollen. Die hessischen Justizbeamten handhaben das aber erfreulich locker, so gibt es keine Rügen, wenn Brüder, Schwester, Neffen, Ex-Frau und Tochter auf den vorderen Presseplätzen sitzen oder durch die Glasscheibe Kontakt mit Prinz Reuß aufnehmen. Es wurde sogar gestattet, daß Prinzessin Elena vor der Verhandlung zusammen mit ihrer Mutter den Prinzen im Zeugenraum ½ Stunde lang sehen, sprechen und umarmen durfte. Prinzessin Elena malte dann in den Pausen fleißig Bilder für ihren Vater.

Richter Bonk verliert keine Zeit und ruft sofort den Zeugen KHK Lasse K. auf, ein freundlicher, sehr sympathischer, junger Mann vom BKA Meckenheim, 31 Jahre alt, Student an der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol). Er erscheint ohne Zeugenbeistand und erzählt viel aus der Erinnerung, flüssig ohne zu stocken und ohne jegliche Belastungstendenzen. Im März/April 2023 hat er die Vernehmung des Michael F. geleitet. Auf den heutigen Tag hat er sich gut vorbereitet und sich Notizen gemacht, die in einem dünnen Hefter vor ihm liegen. Wenn er etwas nicht erinnert, sagt er das sofort, auch ob er eine Aussage jetzt aus dem Studium der Akte oder seiner Erinnerung tätigt. Wenn er eine Frage nicht ganz versteht, bittet er den Vorsitzenden um Konkretisierung und stellt dazu intellegente Nachfragen. Ein Lichtblick -auf jeden Fall-, nachdem was wir hier schon an BKA-Beamten erlebt haben! Insofern hätte man sich die fast 2 Stunden anhaltenden Diskussionen um Aussagegenehmigung und Notizen aus meiner Sicht sparen können, zumal er nicht ein einziges Mal hinein geschaut hat, aber das konnte die Verteidigung ja nicht im Voraus ahnen.

Der Vorsitzende beginnt zunächst mit den Formalien: Name, Alter, Beruf, Dienststelle und natürlich der Aussagegenehmigung. Diese wurde am 2.12.24 ausgestellt und ist unterschrieben vom Dekan der Hochschule, der sein Dienstvorgesetzter ist. Mit keinem der hier oder in STG und MUC Angeklagten ist er verwandt oder verschwägert oder bekannt. In Vorbereitung für heute hat er 1100 Seiten der Vernehmungsakte und das Wortprotokoll noch einmal durchgelesen und sich Notizen zu Passagen gemacht, die heute relevant sein könnten. Diese Notizen hat er strukturiert nach Themen, wie Suizidgedanken (weil das ein wichtiger Punkt war und deshalb die Vernehmung einen Tag unterbrochen werden mußte), Persönliches, beruflicher Werdegang, Ausscheiden aus der Polizei, politischer Werdegang, Systemzweifel, Gedanken zur Gruppierung und den Vorwürfen, Gedanken zu den Treffen, persönliche Gedanken zu den weiteren Angeklagten. Diese Notizen und die zwei Ladungen liegen nun vor ihm. Auf Nachfrage des Vorsitzenden erklärt er, daß die Notizen nicht aus der Akte stammen, sondern er diese selbständig ausgearbeitet und niedergeschrieben habe. Seinen Erinnerungsstand bezeichnet er als sehr gut.

An dieser Stelle, es ist gerade mal 10 Uhr, wird der Zeuge wieder hinausgeschickt, denn RA Klemke und RA Sattelmaier (für Michael F.) und RA Lober (für Birgit M.-W.) haben zu viele Bedenken und Einwände und bestehen auf Klärung.Die Aussagegenehmigung sollte ihrer Meinung nach vom Präsidenten des BKA unterschrieben sein und nicht von einem Dekan der Hochschule. Um die Wirksamkeit beurteilen zu können, benötigt die Verteidigung aber eine Abschrift. Die Notizen sollen zunächst nicht verwendet werden und wenn doch, dann müssten alle Verfahrensbeteiligten vorab eine Abschrift davon erhalten. Darauf hätte die Verteidigung einen Anspruch, da es Aufzeichnungen seien, die für das Verfahren angefertigt wurden. Somit seien es keine privaten Notizen mehr, sondern dienstliche Unterlagen mit Verfahrensbezug.

Birgit M.-W. weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß bei ihrer Vernehmung viele Unterschiede zwischen ihrer tatsächlichen Aussage und der Verschriftlichung waren und verlangt das audio dazu in Augenschein zu nehmen. Sie vermutet beim Beschuldigten Michael F. ähnliche Differenzen und wird von RA Sattelmaier bestätigt, auch bei seinem Mandant gab es 118 Abweichungen.

GBA’in Maslow teilt die Bedenken der Verteidigung nicht, der Zeuge habe sich mustergültig vorbereitet, die Notizen dürfen als Gedächtnisstütze herangezogen werden und müssen keinesfalls an die Verteidigung herausgegeben werden. Da die Anwälte auf eine Herausgabe der Notizen bestehen, unterbricht Richter Bonk die Sitzung für 10 Minuten.

Aus diesen 10 Minuten werden fast eine Stunde, und erst um 11:05 Uhr wird wieder fortgesetzt. Die Aussagegenehmigung wird in Kopie an alle verteilt und als rechtlich einwandfrei deklariert. Der Vorsitzende trifft die Anordnung, daß der Zeuge seine Notizen als Erinnerungsstütze bei der Vernehmung grundsätzlich verwenden darf, zunächst jedoch wie üblich ohne Einblick, und erst bei fehlender Erinnerung wird der Einblick gestattet. Seine Notizen werden nicht an die Verfahrensbeteiligten ausgehändigt.

RA Klemke (für Michael F.) beanstandet den letzten Teil der Anordnung und besteht darauf, die Notizen zu kopieren und allen Verfahrensbeteiligten auszuhändigen und die Verhandlung solange zu unterbrechen.

RA Lober (für Birgit M.-W.) beanstandet die Anordnung ebenfalls und beantragt, daß der Zeuge die Unterlagen zur Akte gibt oder sie hilfsweise beschlagnahmt werden, daß der Verteidigung dann Akteneinsicht gewährt wird, und daß die Verhandlung zur Akteneinsicht unterbrochen wird.

Beiden Anträgen schließen sich RA Weissenborn (für Hans-J.H.), RA von Alvensleben (für Prinz Reuß), RA Böhme (für Johanna F.-J.) und RA Miksch (für Peter W.) an. GBA’in Maslow tritt den Anträgen entgegen.

Richter Bonk unterbricht die Sitzung erneut für 10 Minuten, was zu lautem Gelächter im Zuschauerraum selbst bei der Presse führt. Nach 20 Minuten wird dann die Anordnung des Vorsitzenden durch einen Senatsbeschluß bestätigt und der Zeuge um 11:40 Uhr wieder hereingerufen.

Er berichtet von der Vernehmung des Beschuldigten Michael F. im März und April 2023 an jeweils drei aufeinanderfolgenden Tagen in der JVA Sehnde, Niedersachsen. Nach den ersten beiden Tagen musste wegen Suizidgefahr unterbrochen werden. Die Vernehmung fand täglich von 9.30 – 17 Uhr statt, Pausen waren jederzeit gestattet und fanden auch statt, z.B. für Medikamenteneinnahme, zum Mittagessen o.ä. Die Vernehmung wurde audiovisuell aufgezeichnet, die Technik ist durchgängig gelaufen, und der Zeuge war über den ganzen Zeitraum anwesend. Im Nachgang wurden die Aufzeichnungen auf einem USB Stick extrahiert, ans BKA geschickt und dort verschriftlicht. Damit war der Zeuge aber nicht mehr befasst. Bei der Vernehmung waren der Beschuldigte, sein Anwalt RA Heynert, der Zeuge, KHK G., POK L. und OStA Tobias Engelstätter anwesend. Im Vorfeld wurde mit den Beteiligten ein organisatorisches Gespräch geführt, zu Beginn erhielt der Beschuldigte eine ordentliche Belehrung, und es wurde ihm die Technik erklärt, zu der er seine Zustimmung erteilte. Eine bestimmte vorgegebene Rollenverteilung bei der Vernehmung gab es nicht, der Zeuge war zwar der „Hauptvernehmer“ und hatte eine gewisse Struktur, aber auch die anderen Anwesenden konnten jederzeit Fragen stellen und haben dies auch genutzt. Für die Verschriftung gab es keine konkreten Vorgaben, außer daß diese nicht an die Presse gegeben werden darf. Der Zeuge hat keine Kenntnis von eventuellen Abweichungen. Zum Einlassungsverhalten des Beschuldigten erklärt er, daß dieser voll umfänglich aussagen wollte. Wenn es um persönliche Dinge nach Vorhalten ging, war dieser dann auch entsprechend emotional, aber alles im Rahmen. Als Beispiel nennt er insbesondere den zur Sprache gekommenen Suizidversuch in einer ausweglosen Situation, bei dem es sehr emotional wurde oder Vorhalte, bei denen sich der Beschuldigte dann in die Defensive gedrängt fühlte und dementsprechende emotionale Reaktionen in Gestik und Mimik zeigte, wie z.B. der Kopf wurde röter, in den Augen standen Tränen, die Stimme wurde bewegter, hastiger und lauter, teilweise war ihm dann kein freier Vortrag mehr möglich. Pausen wegen Erschöpfung wären jederzeit möglich gewesen, es gab allerdings keine nennenswerte Erschöpfung.

Richter Bonk will nun mit der Befragung starten und dabei die Stichpunkte abarbeiten, die dem Zeugen in der Ladung genannt wurden. Der Zeuge soll zunächst nur aus der Erinnerung antworten. Der Einfachheit halber werde ich die Fragen des Vorsitzenden unter „Ri:“, die Antworten des Zeugen unter „Z:“ erfassen und den Namen des Beschuldigten mit „MF“ abkürzen .

Ri: Was hat der Beschuldigte zu seinen persönlichen Lebensumständen/Werdegang im Rahmen der Vernehmung geschildert?

Z: Anfangs der Vernehmung wurde ein Personalbogen ausgefüllt, wonach MF in den 60er Jahren in Lehrte bei Hannover geboren wurde. Er war zum damaligen Zeitpunkt aufgrund eines unschönen Vorfalls geschieden und lebte mit einer Frau S. in Lebenspartnerschaft. Frau S. habe in seinem Haus in Alfeld ein lebenslanges Wohnrecht. Beide wohnten dort zusammen und hatten auch einen Hund. MF war Polizist, wie auch sein Vater und Bruder, ging in den 1980er Jahren zur Schutzpolizei, dann Kripo und Studium und war zuletzt als Kripobeamter in Uniform in der Einbruchsprävention tätig. Aufgrund des Verwaltungsverfahrens ist er dann später aus dem Dienst ausgeschieden. MF war eine Zeit lang Mitglied des Polizei-Motorradclubs „Blue Knights“ und in den letzten Jahren oft mit dem Wohnmobil unterwegs. Eine Auswanderung nach Schweden hätte sich MF durchaus vorstellen können, ansonsten garantiere das Wohnmobil ihm eine freiere Art der Fortbewegung.

Ri: Hat MF zum Verhältnis zu seiner Lebensgefährtin mehr erzählt?

Z: Im Laufe der Befragung hat MF auch darüber gesprochen, was Frau S. beruflich macht, allerdings bin ich unsicher, ob ich darüber hier berichten darf, da diese keine Verfahrensbeteiligte ist. Wie lange sich die beiden kennen, daran habe ich keine Erinnerung mehr, nur daß es zwischenzeitlich einmal eine kurzzeitige Trennung gab.

Ri: Können Sie den erwähnten Suizidversuch zeitlich einordnen?

Z: Daran habe ich keine konkrete Erinnerung, ich meine, das wäre Anfang der 2000er Jahre gewesen, aber ohne Gewähr. Ich habe 2003 im Kopf, aber das könnte auch komplett falsch sein.

Ri: Hat MF etwas zu den Hintergründen des Suizidversuchs gesagt, und wie er diese Phase im Nachgang für sich behandelt hat?

Z: Der Hintergrund war, daß die Exfrau ihn betrogen habe und er dementsprechend in keiner guten Verfassung war, allerdings wurde er z.B. von den Kollegen wieder aufgefangen, und es habe sich dann mit der Zeit verbessert. Wegen dem Zeitraum müsste ich in die Akte schauen.

Ri: Welche Bedeutung hatte der Beruf des Polizeibeamten für MF?

Z: Da sein Vater und Bruder bei der Polizei waren, hatte es eine gewisse Familientradition, allerdings habe er sich auch stark mit den Werten identifiziert, er war also nicht nur monetär motiviert, sondern es habe einen ideologischen Hintergrund gehabt. MF habe durchaus dahinter gestanden und Recht und Ordnung und Gerechtigkeit waren ihm wichtige Werte.

Ri: Wie hat er seine Laufbahn als Polizeibeamter rückblickend betrachtet oder eingeschätzt?

Z: Zumindest hat MF gesagt, daß sich die Polizei verändert habe, was ja auch durchaus stimmt. Allerdings habe er dann zum Teil angezweifelt, ob die Polizei überhaupt noch staatlich organisiert sei, oder ob es schon in den Bereich Privatunternehmen ginge. Da sind mir zwei Stellen aus der Vernehmung in Erinnerung geblieben, zum einen sei es um die Kennzeichen von Polizeifahrzeugen gagangen. Die waren zunächst NI und eine Zahlenreihe, danach dann ganz normale Kennzeichen wie H-PI-xx, das habe dann schon gewisse Zweifel bei MF hervorgerufen und dann kamen bei Demonstrationen in 2020 und später gewisse Fragen zum Auftreten der Polizeikräfte auf.

Ri: Hat MF sich ihm Rahmen der Vernehmung selbst charakterisiert als Polizeibeamter?

Z: Soweit ich mich erinnere hat MF auf dem Personalbogen „ehemaliger“ Poliizeibeamter wieder durchgestrichen und schon gesagt, daß er noch Polizist sei. Allerdings habe er sich zum Ende hin ungerecht behandelt gefühlt. Insbesondere ein Vorfall bei der Hausdurchsuchung habe das Vertrauen gemindert und dann auch noch das Verwaltungsverfahren. Er habe nichts Falsches gemacht und kein Unrechtsbewußtsein gezeigt, die Maßnahmen seien völlig überzogen gewesen.

Ri: Ist das dann in eine grundsätzliche Haltung gemündet, hat er aus den geschilderten Erfahrungen irgendwelche Schlüsse für sich formuliert?

Z: Abgesehen von der ungerechten Behandlung war auch weiterhin die Frage, inwiefern der Staat noch an Recht und Gesetz gebunden sei, das war dann eben auch in Verbindung mit den Corona-Maßnahmen, wo die Gewaltenteilung nicht mehr ganz funktioniert habe.

Ri: Hat MF über seine grundsätzliche Einstellung zu gesellschaftlichen Themen gesprochen und hat er sich da klar positioniert oder blieb das offen?

Weiter in Teil 2

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