Es gab Zeiten, da galt Deutschland als Inbegriff von Genauigkeit. Heute jedoch gelingt es uns immer häufiger, internationale Schlagzeilen nicht mit Leistung, sondern mit Pannen zu füllen. Die Bahn verspätet sich chronisch, der BER wurde zum Symbol des Dauerbaus – und nun bekommt sogar das Stimmenzählen einen komödiantischen Beigeschmack.
In Mülheim an der Ruhr kam es zu einer Situation, die in einer Satire kaum besser hätte erfunden werden können: In einem Briefwahlbezirk wurden die Stimmen der SPD-Kandidatin Nadia Khalaf und des CDU-Amtsinhabers Marc Buchholz schlicht vertauscht. Das führte zunächst zu einem scheinbaren Sieg Khalafs mit knappem Vorsprung. Nach der Korrektur drehte sich das Bild: Buchholz liegt nun deutlich vorne. Offiziell bestätigt werden soll das Ergebnis erst am 2. Oktober, wenn der Wahlausschuss tagt.
Die Stadt spricht nüchtern von einem „Fehler bei der Zuordnung“ und einer anschließenden Korrektur. Klingt harmlos, hat aber spürbare Folgen: Laut WAZ waren 120 Stimmen falsch einsortiert, was die Mehrheitsverhältnisse komplett auf den Kopf stellte. Jubel und Enttäuschung wechselten also bloß die Seiten.
So grotesk es wirkt: Genau solche Episoden nähren Zweifel am Funktionieren unserer Institutionen. Nicht, weil dunkle Mächte am Werk wären, sondern weil schon kleinste Unachtsamkeiten Vertrauen nachhaltig beschädigen. Wer seit Jahren vor Nachlässigkeit warnt, fühlt sich nun bestätigt – die Realität liefert den Beleg frei Haus.
Die Zahlen sprechen für sich: Zunächst hieß es, Khalaf habe 50,07 Prozent (24.827 Stimmen), Buchholz 49,93 Prozent (24.760 Stimmen). Danach die Kehrtwende: Stimmen neu gezählt, Ergebnis revidiert, CDU vorne. Offiziell wird das Ganze mit Begriffen wie „korrigiertes Endergebnis“ oder „Bestätigung durch den Wahlausschuss“ verbrämt. Man könnte lachen, wäre es nicht so ernst.
Der eigentliche Skandal liegt weniger im Einzelfall, sondern im Muster: Wir haben uns daran gewöhnt, dass Systeme haken, Abläufe stocken und Behörden Ergebnisse liefern, die nachträglich revidiert werden müssen. Ob beim Zugverkehr, bei Großprojekten oder nun bei einer Wahl – die Zuverlässigkeit, für die Deutschland einst stand, ist kaum noch wiederzuerkennen.
Und die Konsequenz? Es wird Berichte geben, Erklärungen, Prüfungen – aber kaum echte Verantwortung. Am Ende bleibt der Eindruck eines Landes, das sich von seinem Ruf als Vorbild verabschiedet hat. Einst kopierte die Welt unsere Präzision. Heute taugen wir eher als warnendes Beispiel.
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