Prozessbeobachtung OLG Frankfurt „Reichsbürgerprozess“ 28.06.2024

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OLG Frankfurt 28.06.2024

11. Verhandlungstag

Die Verhandlung startet um 9:40 Uhr, Presse und Zuschauer sind in der Spitze mit jeweils bis zu 40 Personen anwesend. Die GBA wird heute durch Herrn Dr. Engelstätter, Frau Dr. Maslow und Richter Konert vertreten. Das große Interesse ist wohl der Anwesenheit der Familie und Freunden des Prinzen Reuß geschuldet, besonders gegen Ende des Verhandlungstags kommen immer mehr Zuschauer, nachdem sich dies offensichtlich herumgesprochen hatte. Insgesamt war der heutige Verhandlungstag der emotional bewegendste Tag seit Beginn des Verfahrens. Es war zutiefst berührend, wie sich Vater und Tochter durch die Panzerglasscheibe begrüßt und verabschiedet haben. Immer wieder während der Verhandlung klopfte seine Tochter an die Scheibe, um Kontakt mit ihrem Vater aufzunehmen, und dies wurde selbst durch die sonst so strengen Justizbeamten nicht unterbunden. Oft mußte der Bruder seine Schwester tröstend in den Arm nehmen, wenn der Versuch der weiteren Kontaktaufnahme daran scheiterte, daß Prinz Reuß während der Einlassung natürlich nicht sehen konnte, was in seinem Rücken hinter der Scheibe passierte. Er selbst war sichtlich aufgewühlt und entschuldigte sich mehrfach für seinen emotionalen Zustand und seine schwache Stimme. Diese hätte er durch den Schock seiner Verhaftung verloren und sie wäre auch nicht wiederhergestellt. Auch bittet er um Verständnis, dass er sich nicht mehr so genau an Namen und Daten erinnern könne.

Mit Wirkung zum 28.6.24 wurde auch die sitzungspolizeiliche Anordnung verschärft. Handys sind nun im Zuschauerraum auch für die Presse verboten, da es zu viele Verstöße gegen die eingeschränkte Nutzung seitens der Presse gab.

Zum ersten Mal nahm auch RA Heynert (für Michael F.) in Vertretung von RA Klemke an der Verhandlung teil.

Zu Beginn gibt Richter Bonk dem Antrag auf Zurückstellung einer Senatsentscheidung zur Haftverschonung Antragsergänzung und Begründung des RA Sieg (f. Prinz Reuß) aus der letzten Sitzung statt.

RA dalla Fini (f. Max E.) kündigt für den nächsten Verhandlungstag einen neuen Antrag nach §257, Abs.2 StPO an, den er erst noch schriftlich ausarbeiten muß.

RA’in Rueber-Unkelbach (f. Birgit M.-W.) schließt sich noch dem Antrag des RA Olivo (Vollständigkeitserklärung des BKA und GBA) aus der letzten Sitzung an.

RA Tschammer (für Prinz Reuß) lässt sich von Richter Bonk bestätigen, daß sein Antrag auf Besichtigung der Asservate eingegangen ist.

Dann stellt RA Lober (für Birgit M.-W.) einen Antrag auf Offenlegung der geführten verfahrensbezogenen Kommunikation zwischen dem hiesigen Vorsitzenden und dem Senat in München und Stuttgart. Er vermutet, daß hier Ladungstermine der hiesigen Angeklagten nach München zwischen den Vorsitzenden der jeweiligen Strafkammer abgesprochen wurden. So wurde bspw. seine Mandantin für den 8.8.24 in München als Zeugin geladen. Zitat: „Allem Anschein nach handelt es sich um eine scheinbar objektive gesetzlose Verfahrensweise und ein eigenartiges Bestätigungsverfahren“

Richter Bonk stellt dazu vorab klar, daß es keine verfahrensbezogene Gespräche mit Beteiligten anderer Gerichte gibt und gab, sondern lediglich die Verhandlungspausen im zitierten und beanstandeten Beschluß erwähnt seien. Er vermutet, daß die jeweiligen Ladungen durch Prüfung der veröffentlichten Verhandlungstermine und den daraus ersichtlichen Terminlücken erfolgt seien.

GBA Frau Dr. Maslow äußert sich empört über die Verwendung der o.g. Begriffe. Diese seien völlig fehl am Platz. Es sei weder eigenartig noch gesetzlos, wenn die Senate versuchen Termine für Zeugenaussagen zu finden, die die anderen Verfahren nicht übermäßig stören.

Auch GBA Dr. Engelstätter rügt trotz der bekannten engagierten und pointierten Art und Weise der Verteidung des RA Lober dessen Wortwahl im Antrag.

RA von Alvensleben (f. Prinz Reuß) schließt sich mit Bedenken zu den Begrifflichkeiten und einer anderen Meinung zur Gesetzlosigkeit dennoch dem Antrag von RA Lober an, da auch sein Mandant eine Ladung nach München für den 15.10.24 erhalten habe und will wissen, wie denn diese Terminabsprachen zustande kommen. Der Richter kann nur vermuten, dass wie oben erwähnt nach Terminlücken in den veröffentlichten Sitzungsterminen geschaut wurde.

RA Lober (für Birgit M.-W.) kündigt noch einen zweiten Antrag an, den er aber nach einer kurzen Verhandlungspause und Rücksprache (seiner Mandantin ging es heute nicht gut, insgesamt mußte daher 3 x die Verhandlung unterbrochen werden) für heute dann doch zurückstellt.

Sodann sollte eigentlich die ergänzende Befragung von Max E. fortgeführt werden. RA dalla Fini (für Max E.) macht aber nach einigen erfolglosen Versuchen klar, daß Max E. heute gar keine Fragen mehr beantworten wird. Sein Mandant habe seine Einlassung gut gemacht und diesen guten Eindruck wolle er heute nicht zerstören. Die Fragen können aber schriftlich formuliert und über das Gericht eingereicht werden, dann würde Max E. ggf. noch Teileinlassungen abgeben. So bleiben die Fragen von RA von Alvensleben (für Prinz Reuß) und des RA Heynert (für Michael F.) heute unbeantwortet.

Ab 10:20 Uhr trägt dann Prinz Reuß zur Person vor. Er ist 1951 als 5. Kind in Büdingen geboren und hat 5 Geschwister. Seine Eltern mußten 1945 aus Thüringen während der sowjetischen Besetzung fliehen und wurden von Tante und Onkel auf zunächst auf Schloß Büdingen aufgenommen, später lebten sie dann in einem ihnen zugewiesenen Haus am Marktplatz. Sein Adoptivgroßvater Heinrich der 45. blieb im Krieg verschollen (sein Schicksal ist bis heute ungeklärt), sein Vater war nach schweren Kriegsverletzungen und dem späteren Prinzenerlaß nicht mehr wehrdienstfähig und betrieb dann eine Shetlandponyzucht. Die Kindheitserinnerungen belasten Prinz Reuß bis heute, da die Familie jahrelang zum Verbleib der Adoptivgroßvaters nachgeforscht habe und dies prägend gewesen sei. Der Krieg war immer gegenwärtig, aber er habe ihn als Kind immer verdrängt. Heimat spielte eine große Rolle, aber dies wäre nicht Hessen, sondern immer Thüringen gewesen. 1958 wurde er eingeschult und besuchte danach zunächst das Gymnasium. Aufgrund vieler Reitunfälle und schweren Kopfverletzungen mußte er zurück auf die Realschule wechseln. Dort wurde der Ton rauer und er wegen seiner Herkunft und seiner schwächlichen Konstitution von Mitschülern und Lehrern gemobbt. Zitat eines Lehrers: „Euch sollte man alle enteignen!“ Das Verhalten seiner Lehrer bezeichnet er als „Vergewaltigung seiner Psyche und Seele“. Prinz Reuß betont, daß er wirklich nicht mit goldenen Löffeln geboren sei, sondern immer auf dem Land hart mitgearbeitet habe, Schule war für ihn nicht so wichtig. Trotzdem studierte er nach Erlangung der Fachhochschulreife in Hamburg dann Fahrzeugtechnik, da er schon immer technisch interessiert war. Moppeds und Autos hatte er schon früh repariert und war begeistert für den Motorsport. Aufgrund mehrerer schweren Verkehrsunfälle wurde er ausgemustert und war nicht wehrdienstfähig, habe somit keine Waffenerfahrung. 1987 lernte er seine Frau kennen, die Mutter seiner beiden Kinder. Sie war nach dem dortigen Regimewechsel aus dem Iran geflohen. Die standesamtliche Heirat erfolgte gegen den Widerstand der Familie und dem Reuß’schen Hausgesetz (nur christliche Ehepartner waren erlaubt) schnell und 1989 wurde die Tochter geboren, die unter dem Down-Syndrom leidet. 1990 wurde sein gesunder Sohn geboren, der einen Master Science Abschluß in Psychologie hat. Auch dieser hat schon früh vor allem unter der Entführung und Ermordung seines Freundes Jakob von Metzler im Jahr 2002 gelitten. Seine Abschlußprüfung im Jahr 2022 wurde dann durch die Verhaftung des Vaters überschattet, und auch er war der internationalen Rufschädigung des Namens Reuß ausgesetzt, obwohl er nichts mit den Ursachen der Fehlentwicklungen zu tun hatte.

Zitat Prinz Reuß: „So kann ich nur hoffen, daß die Gesellschaft fair zu ihm ist, auch der Teil der Gesellschaft, der verurteilt ohne den betroffenen Menschen zu kennen.“ Prinz Reuß bestätigt die Kritik seines Sohnes, daß die Misere durch seine Lebenseinstellung verursacht wurde. Zitat: „Ich führte eine offenes Haus, wollte mit jedem sprechen und habe auch ungeprüft über dessen wahres Interesse mit jedem gesprochen.“ Die junge Ehe des Prinz Reuß war von Anbeginn durch viele Schicksalschläge und die beidseitige familäre Ablehnung überschattet, sodaß sie letzendlich wegen der belastenden und dauerhaften Spannungen 2005 rechtskräftig geschieden wurde. Beide Kinder wurden auf eigenen Wunsch dem Vater zugesprochen. Um seinen Kindern etwas Erholung und Abwechslung zu ermöglichen, hat Prinz Reuß nach der Wende 2001 das verwahrloste Schloss Waidmannsheil in Bad Lobenstein gekauft. Nach dem Mauerfall war er 32 Jahre lang damit beschäftigt, das Familienerbe wiederzuerlangen (Ländereien, Güter, Kunstgegenstände etc.), was aufgrund fehlender Nachweise fast unmöglich war und fast das gesamte Vermögen für Anwälte, Gutachter und Gerichtsprozesse aufzehrte. Bis heute fehlen immer noch über 800 Gegenstände, die er in Russland vermutete. Nur deshalb habe er sich intensiv um Kontakte mit Russland bemüht. Darüber kam auch der Kontakt zu Vitalia B. zustande. Er spricht von einer Freundschaft, die zu einer innigen Beziehung reifte.

Im Juni 2022 hat er aufgrund des Ratifizierungsgesetzes zum Schutz der Rechte der indigenen Völker einen Antrag zur Prüfung der Zugehörigkeit zum Volksstamm der Reussen gestellt. „Dieser Weg ist ein friedlicher Weg.“

Seine Verhaftung am 7.12.22 in Frankfurt kam für ihn völlig überraschend und unerwartet. Nachdem sich die „Erdallianz“ als trojanisches Pferd herausgestellt habe, hat er sich anderen Themen zugewandt. Noch am 5.12.22 hat er einen Kaufvertrag unterschrieben, am 6.12.22 reiste er mit seiner Tochter nach Frankfurt, um ihren Geburtstag am 9.12. und die bevorstehenden Weihnachtsfeierlichkeiten vorzubereiten sowie noch einige Büroarbeiten zu erledigen. Der SEK-Einsatz mit dem gewaltsamen Aufsprengen der Wohnungstür war sowohl für ihn als auch die Tochter traumatisch und noch heute leide er unter dem Schock der Verhaftung. Noch nie hätte er seine Tochter in einem solchen Schockzustand erlebt „mit weißen Augen ohne weitere Farben“.

Prinz Reuß schließt mit den Worten: „Warum mir eine Sympathie über die Medien zum NS-Regime angedichtet worden ist, bleibt mir ein Rätsel. Das hat mit meiner humanitären Einstellung nichts gemeinsam, sodass ich davon ausgehen möchte, dass sich die Verkaufszahlen oder Einschaltquoten der Medien nur durch die Nutzung der üblichen Schubladenraster steigern lassen.“

Das Manuskript der Einlassung wird als Anlage zum Protokoll genommen.

Der Sitzungstag endet wie angekündigt schon vorzeitig um 12:10 Uhr. Die Hauptverhandlung wird am 2.7.24 um 9:30 Uhr fortgesetzt mit Fragen des Senats zu den persönlichen Verhältnissen des Prinzen Reuß. RA von Alvensleben bittet zudem um Verständnis dafür, dass keine Fragen seitens der GBA oder der Verteidigung beantwortet werden. Je nach Dauer wird anschließend Johanna F.-J. zu den persönlichen Verhältnissen vortragen und ggf. noch Hans-Joachim H., der für seine Einlassung ca. 30 Minuten veranschlagt hat. Auch Birgit M.-W. steht nach Aussagen ihrer Verteidigung nun jederzeit für eine Einlassung zur Person zur Verfügung.

Epilog: Die Sitzung ist bereits geschlossen, als die geschiedene Ehefrau von Prinz Reuß nicht mehr an sich halten kann. Sie steht am Panzerglas und ruft: „Was machen sie mit Dir? Du hast nichts gemacht! Wir glauben an Deine Unschuld! Gut gemacht! Aber 18 Monate in Haft, was soll das? Und einmal im Monat 1 Stunde die Familie sehen dürfen, das ist unmenschlich!“

Draußen vor dem Sitzungsgebäude wartet schon ein großes Aufgebot von Presse (Welt, RTL, Sat.1, n-tv) für ein Interview mit RA von Alvensleben. Ob es irgendwo vollständig gezeigt wurde?

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