Fuellmich-Prozess – Transkript des 36. Prozesstages

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Fuellmich-Prozess – Transkript des 36. Prozesstages

Dies ist ein Transkript des folgenden Videos:

Ich habe mir die allergrößte Mühe gegeben, es so leicht lesbar wie möglich zur Verfügung zu stellen. Anmerkungen meinerseits habe ich farbig abgesetzt.

Von allen „Prozessbeobachtern“ gibt einzig Nicole Wolf den Prozess neutral und weitgehend vollständig wider. Vielen Dank dafür an dieser Stelle.

Start:

Guten Abend, ich berichte heute von Prozesstag 36 vom 1.11.2024 vor dem Landgericht in Göttingen in der Strafsache gegen Reiner Fuellmich. Die Anzeigentafel vor dem Gerichtssaal war heute defekt; es hing ein Zettel mit den gewohnten Informationen, außer dass Siemund als Verteidiger nicht aufgeführt war. Er erschien aber dennoch.

9:14 Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch die Herren John und Recha, betritt den Saal.

9:15 Uhr Siemund kommt herein.

9:50 Uhr Siemund und Pohl kommen geschlossen herein, vermutlich von ihrer Besprechung mit dem Angeklagten.

9:53 Uhr Fuellmich wird hereingeführt. Kurz darauf erscheint die Kammer. Für die Wartenden: Für Prozesstag 35 wird von mir kein Bericht kommen, da ich an diesem Tag nicht anwesend sein konnte. Ich bemühe mich, meine Eindrücke so neutral wie möglich zu fassen und verzichte zur besseren Lese- und Hörbarkeit auf die akademischen Grade der erwähnten Personen. Meine hier geschilderten Beobachtungen beruhen einzig auf meiner persönlichen Wahrnehmung.

Der Vorsitzende eröffnet die Sitzung und erklärt, man sei nun bei den Plädoyers der Verteidigung angekommen und erteilt Siemund das Wort. Pohl erwidert, trotz des Beschlusses des Gerichts vom 30.10.24 beantrage die Verteidigung eine Unterbrechung der Verhandlung, da es Anhaltspunkte dafür gebe, dass eine Traumatisierung vorliegt.

Anmerkung der Autorin: Der Inhalt des von Pohl genannten Beschlusses bleibt dem Zuhörer verborgen. Ende der Anmerkung.

Herr Dr. Schröter habe Fuellmich heute Morgen untersucht, so Pohl weiter. Er habe sich die Haftumstände angehört und könne nicht ausschließen, dass eine Traumatisierung vorliegt. Der Vorsitzende fragt Fuellmich, ob dieser Dr. Schröter von der Schweigepflicht entbinde. Fuellmich bejaht und erklärt, der Mann würde Schröder heißen. Der Vorsitzende erklärt, er habe sich heute erkundigt, und der Arzt würde den Angeklagten für verhandlungsfähig halten. Es sei ihm gesagt worden, der Mann hieße Schröter; das sei aber auch egal, man würde ihn schon identifizieren können.

Es ist 9:56 Uhr. Der Vorsitzende verkündet eine Viertelstunde Pause, um das zu klären. Fuellmich wird in den Keller geführt.

10:22 Uhr Der Vorsitzende kommt aus dem Hinterzimmer und gibt der Protokollantin Bescheid, welche die Kollegen darüber informiert, dass der Angeklagte wieder in den Verhandlungsraum gebracht werden kann. Drei Minuten später wird Fuellmich hereingeführt. Seine Anwälte Pohl und Siemund sind nicht im Saal. Fuellmich steht den Zuschauern zugewandt, atmet tief durch, lächelt und sagt: „Es wird noch spannend.“ Ein Pressevertreter fragt: „Wie bitte?“ Fuellmich wiederholt das Gesagte, als Siemund und Pohl hereinkommen.

10:27 Uhr Die Sitzung wird fortgesetzt. Der Vorsitzende führt aus, er habe mit Dr. Schröter gesprochen. Dieser habe bestätigt, Fuellmich heute gesehen zu haben, auch vor einiger Zeit, da er ihn regelmäßig abhöre. Er habe die Transport- und Verhandlungsfähigkeit bestätigt. Er habe keine körperliche Beanstandung festgestellt; Fuellmich sei belastet, auch durch den Zellennachbarn. Er habe keine körperliche Einschränkung feststellen können, Fuellmich habe kein Fieber gehabt. Zwar habe er nicht gemessen, das hätte er aber auch so gemerkt. Fuellmich sei kommunikationsfähig, habe keine psychischen Auffälligkeiten oder kognitiven Beeinträchtigungen gezeigt. Er sei blass und müde. Fuellmich selbst habe gesagt, es sei ihm egal, ob er ausgeführt würde oder nicht.

Anmerkung der Autorin: Ich habe „ausgeführt“ verstanden. Vielleicht habe ich mich verhört. Gemeint ist wohl der Transport zum Gericht. Ende der Anmerkung.

Dr. Schröter könne sich nicht mehr daran erinnern, ob er gesagt hat, er könne eine Traumatisierung nicht ausschließen. Das wisse er nicht mehr. Er habe sich mit Fuellmich gut unterhalten können, seine Haftsituation sei belastend, das gelte aber für alle anderen Gefangenen auch.

Siemund fragt nach dem Fachbereich des Arztes. Der Vorsitzende antwortet, das wisse er nicht. Siemund erwidert, das hätte er ihn doch als Erstes gefragt, und fährt fort: „Wir können alle nicht wissen, was eine solche Haftsituation mit einem Gefangenen macht, insbesondere nach dieser langen Isolationshaft.“ Fuellmich zeige große Stärke, „aber er bricht gerade zusammen.“ So Siemund weiter: Andere gingen mit viel mehr Geld stiften und liefen frei herum.

Diese Behauptung, Fuellmich sei „stark“, aber er er könne praktisch jeden Moment unter dem Druck zusammenbrechen, gab es auch schon zu Beginn des Verfahrens. Seinerzeit berichtete Fuellmich von Selbstmorden und Selbstmordversuchen, fügte aber hinzu, er selber sei ja stark und daher nicht selbstmordgefährdet.

Sein Mandant habe nicht mal das Geld. Fuellmich, so Siemund weiter, solle offenbar durch die Haftbedingungen gebrochen werden. Er halte das für menschenunwürdig. Er besteht darauf, dass Fuellmich psychologisch untersucht wird, um zu erfahren, ob unter seiner harten Schale eine Traumatisierung steckt, und fordert die Kammer auf, ihn medizinisch kompetent untersuchen zu lassen.

Der Vorsitzende fragt, ob es weitere Wortmeldungen gibt. Fuellmich meldet sich zu Wort: „Ich bin so erzogen worden, dass man sich nicht gehen lässt, erst, wenn ich tot vom Pferd falle.“ In der letzten Nacht habe er gar nicht geschlafen. Sein Zellennachbar, welcher Fuellmichs Meinung nach an paranoider Schizophrenie leidet, habe Tobsuchtsanfälle gehabt – den ersten um 21 Uhr, den zweiten um 23 Uhr, den dritten um 1 Uhr. Dann sei endlich jemand gekommen. Gegen 3 Uhr habe der Nachbar dann laute Selbstgespräche geführt, und gegen 4 Uhr habe er das Radio laut angestellt. Bis 5 Uhr hätten sich dann Selbstgespräche mit anderen Geräuschen abgewechselt. Er habe zunächst an einen Zufall geglaubt. So Fuellmich weiter: Mittlerweile glaube er gar nicht mehr an einen Zufall. „Ich glaube, man will mich psychisch brechen. Das wird nicht gelingen. Man kann mich umbringen.“

Herr Schröter könne nicht ausschließen, dass er traumatisiert ist, so Fuellmich weiter. Er selbst, also Fuellmich, gehe davon aus, dass es so ist. Schröter habe ihm außerdem mitgeteilt, er hoffe, er wäre weg, wenn rauskommt, was da los ist. Gemeint sind die Zustände in der JVA.

Der Vorsitzende verkündet eine Viertelstunde Unterbrechung. Es ist 10:35 Uhr. Siemund fragt, ob sein Mandant oben bleiben könne. Der Vorsitzende verneint für diese Dauer, also die anberaumten 15 Minuten.

11 Uhr: Fuellmich wird in den Verhandlungssaal geführt. Der Vorsitzende verkündet die Entscheidung, dass die Verhandlung fortgesetzt wird. Er verweist auf den Beschluss vom 22.10.24. Am 25.10.24 habe sich Fuellmich auf grippeähnliche Symptome berufen, obwohl er bei der Untersuchung nichts dergleichen erwähnt habe. Er habe erklärt, man habe ihm die Blutdrucktabletten verweigert. In der Akte der JVA stünde jedoch, er habe diese auf den Boden geworfen, da er sie nicht unter Aufsicht nehmen wollte. Fuellmich habe dazu gesagt, er habe sie nicht unter Aufsicht nehmen wollen, die Tablette sei dann aber heruntergefallen.

Also stimme das mit dem Vorenthalten der Blutdrucktabeltten nicht. Alles ist stets ganz anders, wenn man auch die andere Seite hört. Das war doich immer Fuellmichs Credo, oder? Nun kommt heraus, dass Fuellmich mal wieder eine Extrawurst gebraten bekommen wollte. Selbstverständlich nimmt man in einer JVA alle Mediklamente unter Aufsicht ein, insbesondere solche, die lebenswichtig oder auch lebensgefährlich sein könnten. Vor Gericht erzählt er dann, man habe ihm diese Medikamente vorenthalten. Unfassbar!

Am 28.10. habe er einen Arzt aufgesucht.

Anmerkung der Autorin: Hierzu führte der Vorsitzende etwas aus, was ich nicht hinreichend notieren konnte. Ende der Anmerkung.

Die Messung des Sanitätsdienstes am 2. sei unauffällig gewesen. Herr Schröter habe den Angeklagten als verhandlungsfähig eingestuft.

Er sei zwar müde, ja, aber kommunikationsfähig und ohne kognitive Einschränkungen, auch nicht unkonzentriert. Aufgrund des Beschleunigungsgrundsatzes sei die Fortsetzung der Verhandlung geboten. Er fordert Siemund auf, sein Plädoyer zu halten.

Pohl beantragt eine weitere Unterbrechung, weil die Hauptverteidigerin Wörmer entschuldigt fehlt.

Anmerkung der Autorin: Offenbar ist sie noch krank. Ende der Anmerkung.

Sie müsse jedoch die Ausführungen von Siemund hören. Siemund würde über gesellschaftsrechtliche Themen ausführen; das sei wichtig für Wörmer. Fuellmich hätte einen Anspruch darauf: „Wir sollten heute nicht mit den Plädoyers beginnen, wenn Wörmer nicht da ist.“ Siemund ergänzt, für Fuellmich sei es von Bedeutung, wie die Kammer reagiert. Der Inhalt seines Plädoyers sei sehr anspruchsvoll. Er erwarte, dass die Schöffen das nicht verstünden und dass auch Wörmer Rückfragen hätte. Es sei nicht einfach, sondern hochgradig kompliziert, wenn er sich anschaue, wie die Staatsanwaltschaft ermittelt habe und zu welchen Bewertungen sie gekommen sei. Es sei für ihn nicht möglich, heute zu plädieren.

Recha erwidert, es gebe keinen Grund, heute nicht zu plädieren. Er beantragt folglich die Fortführung des Verfahrens. Der Inhalt des Plädoyers könne an Wörmer im Nachgang weitergegeben werden, ebenso die Reaktionen. Siemund erwidert, auch auf Feiertage würde hier keine Rücksicht genommen: „Während Sie einen schönen Feiertag verbrachten“, meint er, vermutlich die Staatsanwaltschaft und/oder die Kammer, „habe die Verteidigung gearbeitet.“ Eindrücke könne man nicht einfach so weitergeben; die nehme jeder persönlich wahr.

Der Vorsitzende erklärt, die Kammer würde sich für 10 Minuten zur Beratung zurückziehen.

Es ist 11:07 Uhr.

11:21 Uhr – Der Vorsitzende verkündet die Entscheidung, dass der Antrag auf Unterbrechung der Verhandlung nach pflichtgemäßem Ermessen abgelehnt wird. Es sei nicht ersichtlich, warum nicht plädiert werden kann. Die Strafprozessordnung würde keine Fragen nach Plädoyers vorsehen, auch keine Reaktionen wie von Siemund geschildert. Die Strafprozessordnung würde außerdem vorsehen, dass ein Verteidiger anwesend sein muss.

Fuellmich erwidert, er möchte nun einen unaufschiebbaren Antrag stellen. Der Vorsitzende antwortet, mit diesen Worten würde man für gewöhnlich ein Ablehnungsgesuch stellen. Fuellmich bejaht und ergänzt, er brauche dafür die Möglichkeit, mit Wörmer zu sprechen, auch am kommenden Wochenende: „Vielleicht kann das Gericht das arrangieren.“ Der Vorsitzende fragt, gegen wen sich der Befangenheitsantrag richte. Fuellmich antwortet, er richte sich gegen die gesamte Kammer. Der Vorsitzende gibt das zu Protokoll und verkündet eine fünfminütige Unterbrechung.

Es ist 11:24 Uhr.

11:26 Uhr – Zwei Minuten später kehrt die Kammer zurück. Der Vorsitzende verkündet die Entscheidung, dass für das Ablehnungsgesuch die schriftliche Begründung aufgegeben wird, mit Fristsetzung bis zum 5.11.24, 11 Uhr. Der Vorsitzende übergibt das Wort an Siemund und erwartet dessen Plädoyer.

Siemund erklärt: „Ich bin durch die Verhandlungsführung zutiefst schockiert“, und weiter: Er fühle sich nicht in der Lage, seine Ausführungen in der Form zu halten, wie er das eigentlich vorhatte. Das Ganze hier würde jeder Beschreibung spotten. Und weiter: Er sei derzeit nicht mehr verhandlungsfähig. Er habe seinen Mandanten heute Morgen mit den Fußfesseln im Keller über den Boden schlurfen sehen und spricht den Vorsitzenden an: „Sie berufen sich auf einen Allgemeinmediziner.“

Der Vorsitzende fragt: „Sie wollen nicht ausführen?“ Siemund verneint, er sei vielmehr erkrankt und würde seine AU, also seine Arbeitsunfähigkeitsbestätigung, einreichen.

Es ist 11:29 Uhr. Die Verhandlung wird unterbrochen.

Zu den Zuschauern richtet Fuellmich die Worte: „Dienstag knallt’s“, und meint damit vermutlich die Wahlen in den USA. Bis zum nächsten Mal, tschüss.

Ehrlich gesagt: So etwas habe ich noch nie erlebt. Ich habe in den vergangenen Tagen mit 4 erfahrenen, langjährigen Anwälten gesprochen und sie gefragt, ob sie dergleichen schon einmal erlebt hätten, also dass sich ein Verteidiger, der sein Plädoyer halten soll, mitten im Verfahren für verhandlungsunfähig erklärt, um das Plädoyer nicht halten zu müssen.

Niemand von ihnen hatte je so ein Theater erlebt. Einer meinte, das sollte man mal an die Anwaltskammer weiterleiten, da es ein schlechtes Licht auf den gesamten Berufsstand werfe. Die Verteidiger seien dort nicht einfach nur Verteidiger, sondern Organe der Rechtspflege. Und als solche verwandelten sie den Gerichtssaal gerade in ein Zirkuszelt. Niemand hatte zudem Verständnis für den Richter, der das alles zulasse, ohne entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

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